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Von Verdienst und Schuld

In meinem letzten Beitrag habe ich euch den 1. Teil der Theorie der ethischen Gefühle (kurz: TEG; engl.The Theory of Moral Sentiments) vorgestellt. Dabei ging es um Sympathie und ethische Gefühle. Menschen können untereinander und zueinander von Natur aus eine Verbindung auf der Gefühlsebene herstellen. Dies gelingt über die Sympathie. Im ersten Teil beschreibt Smith, was Sympathie ist, welches Prinzip ihr zugrunde liegt, wie sie funktioniert und nicht zuletzt, welchem Zweck sie dient. Heute geht es um‘Verdienst und Schuld’. In diesem zweiten Teil des Buches untersucht Adam Smith welchen Grundsätzen das menschliche Empfinden von Verdienst und Schuld folgt.

Wer sich zudem für die Epoche interessiert, in der Adam Smith gelebt hat, kann hier zur schottischen Aufklärung und Adam Smith, nachlesen.

Welchen Grundsätzen folgt das menschliche Empfinden von Verdienst und Schuld? (Foto von Keenan Constance von Pexels).
Welchen Grundsätzen folgt das menschliche Empfinden von Verdienst und Schuld? (Foto von Keenan Constance von Pexels).

Über Verdienst und Schuld

Von den Gegenständen für Belohnung und Bestrafung

Wenn Adam Smith von Verdienst und Schuld spricht, meint er eigentlich die Lobenswürdigkeit und Strafwürdigkeit einer Handlung. Doch können wir die Bewertung einer Handlung oder Gemütsbewegung zweierlei vornehmen: Und zwar sowohl in Beziehung auf die Ursache bzw. den Gegenstand als auch auf den Zweck oder die Wirkung, die sie hat. Adam Smith zufolge, hängt es von der Angemessenheit bzw. Unangemessenheit, Verhältnis- oder Unverhältnismäßigkeit ab, die eine Gemütsbewegung gegenüber der Ursache oder dem Objekt hat, ob die daraus entstehende Handlung schicklich oder unschicklich und wohlanständig oder unanständig ist. Je nachdem, ob eine Gemütsreaktion eine wohltätige oder schädliche Absicht hat, hängt der Verdienst bzw. die Schuld und die Lohn- oder Strafwürdigkeit der Handlung ab, die der Absicht folgt. 

Glück können wir auch ohne Verdienst daran fühlen (Photo by Cristian Escobar on Unsplash).
Glück können wir auch ohne Verdienst daran fühlen
(Photo by Cristian Escobar on Unsplash).

Was verdient Dankbarkeit, was Strafe?

Da Handlungen aus Dankbarkeit Belohnung verdienen, würde solchen aus Vergeltung Bestrafung folgen. Während das Gefühl, jemanden belohnen zu wollen, Dankbarkeit ist, wäre es Vergeltungsgefühl jemanden bestrafen zu wollen. Nachdem wir eine Handlung, die wir als Vergeltungsgefühl einordnen, strafwürdig scheint, ist eine Handlung belohnenswert, die für uns Dankbarkeit ausdrückt. Lohn und Strafe treiben uns stärker an, über Glück und Elend anderer zu urteilen und diese zurückzuzahlen als andere Affekte. Unser Dankbarkeitsgefühl jemandem gegenüber verlangt, dass unser Dank ihm gegenüber ausgedrückt wird und er dadurch zu Glück kommt. Solange wir dem anderen unsere Dankbarkeit nicht gezeigt und ihm Glück beschert haben, fühlen wir uns in der Schuld.

Fische könnten sich glücklich schätzen Gefühle wie Schuld und Vergeltung nicht zu fühlen (Photo by Jeremy Cai on Unsplash).
Fische könnten sich glücklich schätzen Gefühle wie Schuld und Vergeltung nicht zu fühlen
(Photo by Jeremy Cai on Unsplash).

Abneigung, Vergeltung und Reue

Anders bei Hass und Abneigung: Zwar mag uns das Unglück des anderen zufriedenstellen, aber beteiligt daran sein möchten wir nicht. Insofern kein Vergeltungsgefühl mitspielt. Vergeltungsgefühl erweckt den Wunsch, selbst Strafe auszuüben. Wegen des Unrechts, das der andere uns direkt oder indirekt angetan hat. Zudem reicht es nicht, dass dieser bestraft wird. Denn er muss für seine Tat bestraft werden, so dass er aufgrund seiner Handlung Reue empfindet. Gesetzliche Strafe funktioniert deshalb, das sie ein abschreckendes Beispiel ist, obwohl sie eigentlich auf Einsicht und Besserung des Gesetzesbrechers abzielt.

Während Verdienst mit Dankbarkeit einher geht, folgt auf Schuld oftmals Reue (Photo by twinsfisch on Unsplash).
Während Verdienst mit Dankbarkeit einher geht, folgt auf Schuld oftmals Reue
(Photo by twinsfisch on Unsplash).

Gegenstände der Dankbarkeit und Vergeltung

Schicklich, also angemessen, erscheinen uns nur solche Affekte, also Gefühle, die bei einem unparteiischen Zuschauer Sympathie hervorrufen und solange ein Augenzeuge vollkommen mitfühlen kann. Deshalb erscheint es, dass uns eher diejenige Handlung belohnenswert, die auch allgemein belohnt werden würde. Und demgemäß erscheint uns eine Handlung strafenswert, die gemeinhin so beurteilt würde.

Es gibt Bilder und Szenen, die in fast jedem Menschen Glück, Freude und Sympathie hervorrufen (Photo by Alex Alvarez on Unsplash).
Es gibt Bilder und Szenen, die in fast jedem Menschen Glück, Freude und Sympathie hervorrufen
(Photo by Alex Alvarez on Unsplash).

Verdienst und Mitgefühl

Wenn wir jemanden sehen, der z.B. Hilfe bekommt, sympathisieren wir mit dessen Freude und verstärken unser eigenes Mitgefühl mit seiner Dankbarkeit dem Helfenden gegenüber.  Da wir die Neigung des Geholfenen teilen, empfinden wir seine Gegenleistungen als schicklich und angemessen. 

Wenn wir mit dem Kummer eines Mitmenschen sympathisieren, teilen wir auch seine Abneigung gegen die Ursachen seiner Notlage. Und genauso angemessen erscheinen uns die Maßnahmen um sich aus dieser Lage zu befreien. Vor allem wenn ein Mensch die Ursache ist (z.B. ein Angreifer), trägt unsere Sympathie dazu bei, unser Mitgefühl mit dem Vergeltungsgefühl des Leidenden zu verstärken. Falls dieser Mensch zu Tode kommen sollte, sympathisieren wir sowohl mit den Gefühlen der Hinterbliebenen als auch mit jenen, die der Tote nicht mehr haben kann (z.B. sein Leiden, sein Vergeltungsgefühl). 

Wenn mir mit dem Leid eines Menschen sympathisieren, neigen wir dazu, uns mit ihm gegen die Ursache seiner Notlage zu verbünden (Photo by twinsfisch on Unsplash)
Wenn mir mit dem Leid eines Menschen sympathisieren, neigen wir dazu, uns mit ihm gegen die Ursache seiner Notlage zu verbünden
(Photo by twinsfisch on Unsplash)

Verdienst und Missbilligung

Generell haben wir wenig Sympathie mit der Dankbarkeit einer Person, die eine Wohltat nach unserem Ermessen nicht verdient hat. Zudem haben wir keine Sympathie mit dem Vergeltungsgefühl eines Menschen, der Schaden aus einer Absicht heraus erleidet, die wir nicht missbilligen. Falls in der Absicht jemandem Schaden zugefügt zu haben, nichts Unschickliches oder Unrichtiges lag, sympathisieren wir nicht mit dem Vergeltungsgefühl des Geschädigten. Demgemäß sympathisieren wir auch nicht mit der Dankbarkeit eines Menschen, der Hilfe aus einer Absicht heraus erhalten hat, die wir nicht schicklich finden. Ergo, Sympathie ist nicht möglich mit Affekten, die eine Reaktion auf Handlungen sind, die uns nicht schicklich erscheinen (z.B. Wohltaten aus Opportunismus, Ego, Image).

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Wurde hingegen ein Schaden an einem Menschen mit einer Absicht erzeugt, die uns schicklich erscheinen, sympathisieren wir nicht mit dem Vergeltungsgefühl des Geschädigten. Dann hat der Geschädigte unseres Erachtens kein Recht auf Vergeltung. Z.B. teilt das Vergeltungsgefühl eines zum Tode verurteilten Mörders demnach nicht unser Mitgefühl. Solange das Leid nicht größer ist, als jenes, das wir selbst ihm gewünscht hätten.

Analyse von Verdienst und Schuld

Das Gefühl der Verdienstlichkeit bildet sich sowohl aus der indirekten Sympathie des Dankbaren gegenüber, als auch der Sympathie den Motiven des Helfenden gegenüber. Es sind die auf Sympathie beruhenden Empfindungen der Dankbarkeit und Liebe dem Handeln aus Wohltätigkeit gegenüber, die das Gefühl der Verdienstlichkeit und Lobenswürdigkeit entstehen lassen. Wenn wir die Absichten des Handelnden nicht missbilligen, können wir auch nicht mit dem Vergeltungsgefühl des Betroffenen sympathisieren. Vergeltung gilt gemeinhin eher als zu verabscheuender Affekt und Dankbarkeit eher als liebenswürdig. Sobald jedoch unverdiente Bosheiten vorausgingen oder Reaktionen herausgefordert wurden, sind Strafen gesellschaftlich angemessen und sogar erwünscht. 

Analyse von Verdienst und Schuld (Photo by Marcos Paulo Prado on Unsplash)
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Darüber hinaus hängt es nicht vom Vorhandensein oder dem Ausmaß der Dankbarkeit eines Geholfenen ab, ob ich selbst Verdienstlichkeit empfinde, sondern ob der Helfende schickliche Absichten hatte. 

Das rechte und das eigene Maß

Adam Smith analysiert ferner die Grundsätze, nach denen der Mensch als unvollkommenes und schwaches Wesen Bestrafung billigt. Denn wir können dennoch mit Vergeltungsgefühl sympathisieren, wenn die Art und das Ausmaß der Bestrafung nicht jenes übersteigt, die wir selbst bemessen würden. D.h. unsere Gefühle müssen mit denen des anderen deckungsgleich sein und diese rechtfertigen. Da die meisten Menschen aber unfähig sind, Vergeltung zu zügeln und herabzuregulieren, sympathisieren wir umso stärker mit jemandem, der sich selbst beherrschen kann.

Auch Unmut und Verdruss haben für jeden von uns ein bestimmtes Maß, unabhängig davon, ob jemand Schuld trägt (Foto von omar alnahi von Pexels)
Auch Unmut und Verdruss haben für jeden von uns ein bestimmtes Maß, unabhängig davon, ob jemand Schuld trägt
(Foto von omar alnahi von Pexels)

Auch mit dem Unmut und Verdruss eines Leidenden können wir nicht sympathisieren, wenn diese unser Maß überschreiten. Denn wir stimmen in diesem Fall dem Vergeltungsgefühl desjenigen zu, der zur Zielscheibe des ungerechtfertigten Vergeltungsgefühls des Leidenden wurde. Die Billigung der Schicklichkeit erfordert, dass ich a) mit dem Handelnden sympathisiere, also mit seinen Absichten und b) dass, er sich auch in seinem Handeln angemessen verhält. 

Quellen

  • Über das Gefühl für Verdienst und Schuld, Adam Smith (aus Theorie der ethischen Gefühle: TEG II, Abschnitt 1, Kapitel 1 – 5).
  • spektrum.de: METZLER LEXIKON PHILOSOPHIE: Prinzip der Anteilnahme, 2008 Springer-Verlag Deutschland GmbH.
  • C. Gilligan: Die andere Stimme. Lebenskonflikte und Moral der Frau. München 1984.
  • adamsmith.org: The Theory of moral sentiments. Adam Smith Institute, aufgerufen am 03.05.2020.