Im Paradies der Völklinger Hütte

Im Paradies der Völklinger Hütte

Das Paradies im stählernen Schatten

Von meinen Besuch des Weltkulturerbes Völklinger Hütte im Saarland habe ich in meinem letzten Blog-Beitrag (hier zu lesen) berichtet. Aber einen ganz besonderen Bereich der Ausstellung habe ich euch vorenthalten. Im Paradies der Völklinger Hütte. Ein Areal, in dem die Natur sich ihren Raum zurückerobert zu haben scheint. So wie z.B. in einer vegetalvegetabilen Postapokalypse denkbar, wo die Pflanzen mit ihren Wurzeln die Überreste der Stahlkonstruktionen und Maschinen zerlegen. Oder aber wie zu einer Zeit, wo Fauna und Flora noch Regie führten, wo lange noch keine Menschen existieren, geschweige denn dass es Maschinen gab. So z.B. im Karbon (o. aber hier) oder im Trias (o. hier).

Unverputzte Betonträger und Wände. Pflanzen bahnen sich ihren Weg in das Paradies des Weltkulturerbes Völklinger Hütte im Saarland.
Unverputzte Betonträger und Wände. Pflanzen bahnen sich ihren Weg in das Paradies des Weltkulturerbes Völklinger Hütte im Saarland.

In diesen Landschaftsgarten integriert sind Street Art Elemente an den Wänden der ehemaligen Kokerei sowie freistehende Skulpturen. Der “Eingang” zum Paradies mag einem etwas verwildert vorkommen. Doch genau dieser Eindruck bestätigt den Hintergrund des Pflanz- und Begrünungskonzeptes.

  • Im Paradies der Völklinger Hütte

Wie entstand das Paradies der Völklinger Hütte?

Fast 25 Jahre lang wurde das Areal zwischen der Kokerei und dem Fluss Saar nicht betreten. In der Kokerei wurde der Koks erzeugt, der für die Herstellung von Roheisen notwendig ist. In der Zwischenzeit breiteten sich Pflanzen und Tiere hinter der Hochofengruppe aus. Die deutsch-schwedische Landschaftsarchitektin Catherina Ruffing Gräfin Bernadotte af (von) Wisborg konzipierte schließlich das Paradies der Völklinger Hütte als eine Art. Damit schuf sie diesen“Industrial garden” aus einem “lost & abandoned place”.

Es wird grüner... Auf dem Weg zum Paradies der Völklinger Hütte (Völklingen, Saarland).
Es wird grüner… Auf dem Weg zum Paradies der Völklinger Hütte (Völklingen, Saarland).

So entstand aus einer ehemaligen Kokerei ein völlig neues Zweitnutzungskonzept. Auf einer Gesamtfläche von 33.000 m2 mit zwölf thematisch unterschiedlichen Gartenteilbereichen. Hier wachsen z.B. Birken und Schmetterlingsflieder inmitten der verstummten Koksbatterien. Im ehemaligen Teerbecken haben sich Fische angesiedelt.

Der Landschaftsgarten 'Paradies' im Weltkulturerbe Völklinger Hütte zeigt sehr anschaulich wie ein stillgelegtes, denkmalgeschütztes Stahlwerk begrünt werden kann.
Der Landschaftsgarten ‘Paradies’ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte zeigt sehr anschaulich,
wie ein stillgelegtes, denkmalgeschütztes Stahlwerk begrünt werden kann.

Vom Paradies der Völklinger Hütte zur Bibel

Ein Exkurs zum Paradies:

Nach jüdischer Auffassung entspricht das Paradies dem Ort, an dem die Menschen bis zum Zeitpunkt ihres Sündenfalls lebten. Während die spätere christliche Idee Adam und Eva integriert. Auch im Islam gibt es derartige Gedanken. Durch dieses Ereignis bleibt den Menschen die Rückkehr ins Paradies verwehrt. Etymologisch stammt der Begriff aus dem Altiranischen. Dort bedeutet pairi daēza eine eingezäunte Fläche. Das verwandte, hebräische Wort pardēs beschreibt in biblischen Texten noch genauer einen „Baumgarten“ oder „Park“. Oder aber einen “von einem Wall umgebener Baumpark“.

Nicht das Paradies der Völklinger Hütte, aber ein anderes.
Ein Nutz- und Wirtschaftswald in Rohrbach-St. Ingbert im Saarland.

Das Wort Paradeisos stammt hingegen aus dem Griechischen. παράδεισος meint einen “Tiergarten“ oder “Park“. Im Lateinischen existiert der Term paradisus und bezog sich ursprünglich evtl. auf persische Königsgärten. Im biblischen Zusammenhang auch auf sog. “Gottesgärten”. In der griechischen Übersetzung der Tora, der Septuaginta, steht der Begriff u.a. für den Garten Eden.

Aus den Erzählungen und Schriften der Bibel, der Tora sowie den geschichtlichen Ereignissen geht einheitlich eines hervor. Und zwar hat das Verständnis für ein Paradies die Natur stets dort vorgesehen. Somit war die Verwendung von Pflanzen integriert. Somit waren naturnahe Räume sowie Gärten waren Schauplätze des Paradieses. Was hat sich bis heute also geändert? Wo ist jegliche Selbstverständlichkeit für die Natur im öffentlichen Raum der Neuzeit geblieben?


Quellen

Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Weltkulturerbe Völklinger Hütte


Willkommen im ‘Machine Age‘

Ein Besuch bei meinem Onkel im Saarland. Ein paar Tage Auszeit und Bodenständigkeit. Fernab der urbanen Komplexität des Klein- und Spießbürgertums. Nachdem wir tags zuvor das Glamping Resort in Kleinblittersdorf besucht hatten, fuhren wir heute nach Völklingen. Dort besichtigten wir das Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Eine ehemalige Produktionsstätte für Roheisen und Stahl. Sogleich musste ich an etwas wie ‘Age of machines‘ oder Machine Age’ denken. Das erwies sich schließlich als unweit der Tatsachen, denn die Völklinger Hütte markiert das Zeitalter direkt nach Beginn der (Ersten) Industriellen Revolution.

Ein Zeugnis der enormen Fähigkeit menschlichen Schaffens und technologischen Sachverstandes: Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
Ein Zeugnis der enormen Fähigkeit menschlichen Schaffens und technologischen Sachverstandes: Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.

Im Rahmen eines Rundgangs durch das gesamte Gelände des ehemaligen Stahlwerks wird einem sehr deutlich, warum der Begriff ‘Revolution’ so treffend ist (zumindest für mich). Auch wenn die Völklinger Hütte in ihrer Größe eine Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Stahlwerken der damaligen Zeit war, macht sie die Gewaltigkeit an menschlicher Schöpferkraft und technischem Erfindergeist mehr als klar und sichtbar.

In Stahl gemeißelt – Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte

Rückführung in den natürlichen Kreislauf? Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte scheint  langfristig in die Hände der Natur aufgenommen zu werden (Völklingen, Saarland).
Rückführung in den natürlichen Kreislauf? Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte scheint langfristig in die Hände der Natur aufgenommen zu werden (Völklingen, Saarland).

Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist eine von aktuell 46 Welterbestätten der UNESCO in Deutschland (Stand: 05.12.19, UNESCO). Davon sind drei Natur- sowie 43 Kulturstätten. Sieben der Stätten umfassen Teilgebiete in anderen EU-Staaten.

Eine Geschichte von Stahl, Erfolg & Qual

Die Geschichte der Völklinger Hütte geht in das Industriezeitalter zurück, also in das frühe 20. Jhd. Sie wurde stark vom damaligen Weltgeschehen geprägt. Und so war es die Unternehmerfamilie Röchling, die ein einst stillgelegtes Stahlwerk wieder erfolgreich machten. Und sie navigierten es durch die NS-Zeit hindurch. Es begann alles damit, dass Montan-Unternehmer Carl Röchling 1881 ein geschlossenes Stahlwerk in Völklingen erwarb. Der vorherige Besitzer Julius Buch, ein Hütteningenieur, hatte es gegründet. Carl Röchling setzte auf die Produktion von Roheisen. Sein Vater, Friedrich Ludwig Röchling, selbst Unternehmer, hatte bereits 1822 einen Kohlehandel in Saarbrücken gegründet. Auf diesem basierten weiteren unternehmerischen Aktivitäten der Familie.

Eine in ihrer Größe und Bedeutung einzigartiges Stahlwerk: Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
Eine in ihrer Größe und Bedeutung einzigartiges Stahlwerk: Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.

Durch die die Unternehmenspolitik von Carl Röchlings macht seine Eisen- und Stahlwerke 1890 zum größten Hersteller für Eisenträger in Deutschland. Mit der Einführung des Thomas-Verfahrens auf der Völklinger Hütte eröffnet 1891 ein neues Stahlwerk.

1897 entsteht die erste Koksbatterie. Gleichzeitig entsteht mit dem Bau des Kohlesilos aus Stahlblech eines der ältesten erhaltenen Bauwerke der Völklinger Hütte.

Bald sind auch die vier Söhne Car Röchlings in das Betriebsgeschehen involviert. So erkannten sie bereits 1898 das Potenzial der Gasmaschine für die Eisenindustrie und setzten die erste Gasebläsemaschine ein. 1900 folgte das Gebläsehaus. 1911 entsteht zur Beschickung der Hochöfen die Hängebahnanlage. 1913 wird die Möllerhalle aus Stahlbeton gebaut. Damals das erste Bauwerk dieser Größenordnung.

Die Völklinger Hütte im Wandel durch den Krieg

Düster: Stahl wie Felswände, dahinter ein grauer Lichtblick: Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
Düster: Stahl wie Felswände, dahinter ein grauer Lichtblick: Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.

1914: Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges stoppt zunächst die Produktion. Auch hier wird später Rüstungsmaterial in Form von Granaten und Stahlhelmen hergestellt. Die Hüttenarbeiter werden zum Armeedienst eingezogen. Währenddessen werden Frauen und widerrechtlich Kriegsgefangene zur Arbeit im Werk herangezogen. Noch während des Krieges wird ein Siemens-Martin-Stahlwerk für die Herstellung von Kriegsgütern errichtet.

Mit dem Bau des Wasserhochbehälters 1917/18 entsteht ein Stahlbetonfachwerkbau. So dass einer der ersten Vertreter für die Industriearchitektur entsteht. 1928 entstand in Völklingen eine der modernsten Sinteranlagen des damaligen Europas. Mit der Sintertechnik können Abfallprodukte der Verhüttungsprozesse, wie Feinerze und Gichtstaub, recycelt werden. Indem das Material bei 1300° C zusammengebacken wird, kann es dann in den Hochofen eingefüllt werden.

Aber trotz erwähnter technologischer Fortschritte und Errungenschaften begann während des Krieges eine sehr tragische Entwicklung.

Zwangsarbeit auf der Völklinger Hütte

  • Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
  • Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
  • Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
  • Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
  • Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
  • Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
  • Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
  • Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.
  • Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in Völklingen, Saarland.

Um 1944 arbeiteten während des Zweiten Weltkrieges ca. 70.000 ausländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene in den Betrieben des Saarreviers. Davon mehr als 12.000 ausländische ArbeiterInnen in der Völklinger Hütte und ihren Nebenbetrieben. Der Großteil waren Zwangsarbeiter, darunter Kriegsgefangene aus Frankreich, Italien und Russland. Oder aber es handelte sich um verschleppte russische und ukrainische Zivilpersonen aus der Sowjetunion. Die Arbeitsbedingungen waren diskriminierend und unmenschlich. So dass mehr als 250 ausländische Arbeitskräfte, meist ZwangsarbeiterInnen, starben. 1965 arbeiteten erstmals mehr als 17.000 Menschen in der Völklinger Hütte.

Von den insgesamt und genau 12393 ZwangsarbeiterInnen waren 9913 männlich und 2441 weiblich. Nicht näher dokumentiert sind 39. Ebenso gehörten 579 Kinder und Kleinkinder zu den Zwangsarbeitenden. Seit Kriegsbeginn kamen 261 zu Tode, davon 60 Kinder und Kleinkinder.

Darüber hinaus geht aus den Firmenchroniken hervor, dass es bereits im Ersten Weltkrieg 1446 Zwangsarbeiter gegeben hatte. 143 dieser Männer und Frauen kamen noch während des Krieges zu Tode.

Doch für diese Kriegsverbrechen hatten sich die Familienmitglieder Hermann Röchling, Ernst Röchling und Hans-Lothar von Gemmingen 1948 vor Gericht zu verantworten. Sowie auch die Direktoren Albert Maier und Wilhelm Rodenhauser.

Erlösung und Auferstehung zum Denkmal & Erbe

Kontraste: Rohre, Schienen, Kessel und Transportschächte im Weltkulturerbe Völklinger Hütte und dahinter grüne Hügel und Wälder.
Kontraste: Rohre, Schienen, Kessel und Transportschächte im Weltkulturerbe Völklinger Hütte und dahinter grüne Hügel und Wälder.

1986 wurde die Roheisenphase stillgelegt. Und Teile der Völklinger Hütte werden sodann unter Denkmalschutz gestellt, wodurch das Werk zum Industriedenkmal wird. 1994 erklärt die UNESCO die Roheisenproduktion der Völklinger Hütte zum “Weltkulturerbe”. 2008 werden auf dem Dach der Gebläsehalle Solarpanels bzw. Solarmodule in das Denkmal integriert.

Ein Ort für ein Paradies

Mittlerweile hat sich das Weltkulturerbe Völklinger Hütte zu einem Ausstellungszentrumund Veranstaltungsort entwickelt. Ein Teilbereich des Ausstellungsgeländes heißt ‘Paradies’. Ein “Ort”, an dem es scheint, als habe die Natur sprichwörtlich “Gras über die Sache” (bzw. die Ereignisse) wachsen lassen. Seht selbst, in diesem Beitrag (coming soon).

Wer mehr zur Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte erfahren möchte, findet hier einen ausführlichen Beitrag dazu. Des Weiteren steht auf der Homepage des Weltkulturerbes Völklinger Hütte eine eigene Publikation zum Download (siehe nachstehender Link).

Die Publikation “Die Zwangsarbeiter in der Völklinger Hütte im Ersten und Zweiten Weltkrieg” (PDF) zum kostenfreien Download

Quellen